Es kam völlig überraschend, und auch wieder nicht. Wochenlang verfolgte ich mit Freuden die sinkenden Fallzahlen und die damit verbundene Hoffnung auf einen Stadionbesuch noch vor der Sommerpause. Die besten Aussichten hatte ich zeitweilig mit der Schweiz, aber deren Regierung wollte für den letzten Spieltag in den beiden höchsten Spielklassen kein Risiko mehr eingehen. Für Deutschland gab und gibt es ja kaum eine Möglichkeit, die Stadien waren bis auf ein paar ganz wenige Ausnahmen dicht. Jetzt blieb nur noch Österreich. Da wurden für den 19. Mai richtige Lockerungen ankündet und für den letzten Spieltag in deren Bundesliga bis zu maximal 3.000 Zuschauer zugelassen. Da habe ich natürlich sofort gecheckt und mit dem SV Ried die einzig machbare Möglichkeit ausgeguckt. Schon wegen der Anfahrt und so. Leider wurden deren Dauerkartenbesitzer bevorzugt, was natürlich gut und richtig ist. Und so habe ich mich damit abgefunden, das wird nichts mehr. Bin aber trotzdem jeden Tag auf die Website und siehe da, zwei Tage vor dem Match gab es noch 48 (!) Restkarten für den freien Vorverkauf. Der Rest war Routine. Eingeloggt, angemeldet, bezahlt und Ticket ausgedruckt. Zwar so ein Ungetüm in der DINA 4 Größe, aber alles egal. Auf nach Ried im Innkreis / Oberösterreich. Zuerst durfte ich mich aber noch in Österreich anmelden, eine Pre-Travel-Clearence ausfüllen. Die Bestätigung kam sofort und ich konnte dieses Formular zuhause ausdrucken. Für den Besuch des Stadions musste man entweder eine komplette doppelte Impfung vorweisen, einen negativen Tagestest oder eine Genesung. Ich habe mir vor der Abfahrt einen Tagestest besorgt. Derart ausgerüstet konnte es losgehen, zum vermutlich letzten Spiel der Saison 2020/21. Die Anfahrt war easy. Die bekannte Strecke nach München, auf die Umgehung A 99 und weiter auf der A 94 in Richtung Passau. Kurz vorher abbiegen auf die B12 und dann über den Grenzfluss Inn nach Österreich. Hier die erste Überraschung, keinerlei Kontrollen, nichts. Also hätte ich mir diese Anmeldung / Pre-Vit-Dingsbums schon mal sparen können. Auf den Bundesstraßen 148, dann 141 die knapp fünfzig Kilometer bis nach Ried. Geparkt habe ich dann direkt am Stadion. Die Parkplätze waren geschottert und für Umme, auch für das Spiel. Sehr großzügig.
Man sieht, es war ein trüber Tag. Da ich noch über vier Stunden Zeit hatte, ging ich die paar Meter zu Fuß in die Innenstadt. Ried ist mit seinen 12.200 Einwohnern nicht gerade eine Metropole, hat aber dennoch einen erstaunlich großen Marktplatz vorzuweisen. Alles war wirklich sauber hergerichtet, die Fassaden glänzten und die ersten Restaurants und Cafes lockten mit ihrer Außengastronomie zahlreiche Gäste an, dem trüben Wetter zum Trotz. Masken sah man kaum.
Für das verspätete Mittagessen hatte ich die Brauereigaststätte "Kellerbräukeller" ausgesucht, die älteste Schankwirtschaft der Stadt. Seit 1446. Ich war der einzige Gast und musste dann in der Küche nachschauen, ob überhaupt jemand da war. "Ja doch, komme gleich." Es gab nur eine kleine Karte, aber das genügte. Wie üblich müsste ich die Anmeldung ausfüllen, am Platz durfte man die Maske abnehmen. Die Bedienung hatte reichlich Zeit und erklärte mir, ab heut Abend geht es richtig los, wir sind allein über die Vorreservierungen schon fast voll.
Das Essen war ok, der Preis angemessen, das Bier gut. Was will man mehr? Auf dem Rückweg zum Stadion machte ich noch in einem der zahlreichen Cafes Halt und sollte mich über eine App bei dem befestigten QR-Code am Tisch einloggen. Also da war mir klar, wir Deutschen hinken da noch gewaltig hinterher. Die Luca-App hat bei uns kaum eine Bedeutung. Ich habe die anderen Gäste beobachtet, die haben diese App alle installiert und melden sich darüber an und ab. Fertig. Ich hab so getan als ob, meinen Kaffee getrunken und bin wieder gegangen. Und da fiel mir es auf, beim Betreten der Läden meldeten die meisten Menschen sich mit dieser App an und fertig.
Beim Zugang zum Stadion daseelbe Bild. Ich glaube, ich war der einzige Mensch in der Schlange mit Papier. Fast jeder zeigte sein Smartphone vor und konnte passieren. Bei mir war das Erstaunen groß, konnte aber problemlos passieren.
Drinnen war dann zwar Maskenpflicht, aber auf den Plätzen schien dies kaum jemand zu interessieren. Schließlich hatte man nur mit einem bestätigten Negativtest Zugang. Es war ein erhebendes Gefühl, seit Oktober letzten Jahres mal wieder in einem Stadion. Bier und eine Leberkässemmel rundeten das Erlebnis ab und schon das Aufwärmen der Teams war ein Augenschmaus. Die Werbung, die Werbespots an der Anzeigetafel, das Gerede der Leute auf den Rängen, da kannste das Sofa zuhause in die Tonne kicken. Es lebe das Live-Erlebnis. Stadion bleibt Stadion. Allerdings trübte der Stadionsprecher die lockere Stimmung, sein Hinweis zur unbedingen Maskenpflicht wurde zwar etwas murrend, aber immerhin befolgt.
Im Normalfall gehen 7.200 Zuschauer in die Josko Arena rein, diesmal waren 2.640 Besucher zugelassen. Und stolz vermeldete der Stadionsprecher dann auch "ausverkauft". Das Stadion ist echt schnicke. Sehr modern ausgestattet, rundum überdacht und durch die Kompaktheit ist der echte Fussballgenuss garantiert. Natürlich ist die Kapazität klein, aber für den SV Ried scheint es zu reichen. Ried war im Vorjahr als Zweitligameister aufgestiegen und hatte vor dem Finalspieltag den Klassenerhalt schon sicher. Den letzten "richtigen" Titel gab es 2011, da wurde man Pokalsieger. Vor rund fünfzehn Jahren spielte man auch in Europa, zumindest in den jeweiligen Qualifikationsrunden zum UEFA-Pokal oder Europa League. Die Hauptrunden erreichte man nie. Nach ein paar Spielzeiten in der zweiten Liga ist Ried also zurück im Oberhaus, und das mit einem wirklich bescheidenen Etat.
Gegner FK Austria Wien ist da schon ein anderes Kaliber. Schon die Tatsache Wien garantiert ganz andere finanzielle Möglichkeiten und da ist der umgerechnet siebte Platz in der Tabelle eher ein Enttäuschung. Wieso umgerechnet? Der Ablauf der österreichischen Bundesliga wurde vor zwei Jahren komplett umgekrempelt, das allein ist eine weitere Post wert. Kommt noch. Auf jeden Fall liegen zwischen beiden Clubs Welten. Es war das letzte Spiel von Rieds Torjäger Grüll, er wechselt zu Rapid Wien. Und Grüll lieferte auch bald die erste Aufregung, nach einem langen Ball traf der nur den Pfosten.Die coronabedingt geschwächte Austria wachte dann aber auf und führte durch Grünwald mit 0:1 zur Pause. Das Team von Trainer Peter Stöger wirkte etwas reifer, Rieds Schlußmann Sahin-Radlinger hielt sein Team mit zwei tollen Reflexen im Spiel. Die Stimmung war gedämpft, es war mehr ein Klatschen als Gesang.
Mit dem 0:2 durch einen umstrittenen Freistoß ging die Laune komplett in den Keller und alles schien auf einen Auswärtssieg der Wiener Austria hinzudeuten. Ried kam einfach nicht in die Gänge. Dann wechselte man aus, am letzten Spieltag läßt man auch die Reservisten und Abgänge ran, das macht man halt so. Wenn alles klar ist. Für mich war dann auch alles klar, ich fahre jetzt. In den zwölf Minuten passiert nicht mehr viel. Der Himmel begann sich zunehmends zu verdunkeln, die WetterApp warnte vor Starkregen in Öberösterreich und Süddeutschland.
Also los, damit ich immerhin noch bei etwas Helligkeit über die Grenze komme. Und damit war der Grundstein für meine persönliche Lachnummer des Jahrzehnts gelegt. Beim Tanken auf der deutschen Seite in Waldkraiburg schaute ich dann nach und das Smartphone fiel mir fast auf den spritgetränkten Betonboden der Tanke. Fassungslos starrte ich auf das Display, Ried hatte noch mit 3:2 gewonnen, in der Nachspielzeit, in der 94. Minute. Ich war wie betäubt. Jetzt hat man gefühlt über 1.000 Spiele auf dem krummen Buckel und dann das. Ich bin dann noch auf andere Websites, tatsächlich kein Fake. 3:2 und das Stadion tobte. Ich auch, aber innerlich und in Waldkraiburg an der Tankstelle. Immerhin, die Wettervorschau stimmte. Es begann richtig kräftig zu regnen und so war eine Höchstgeschwindigkeit von maximal 100 oder 110 möglich. Dadurch verzögerte sich meine Heimkehr um über eine satte Stunde, also dafür hätte ich mir die geile Schlußviertelstunde in Ried doch noch reinziehen können. Selber Schuld, man geht eben nicht vor dem Abpfiff.
Trotzdem hat es sich gelohnt. Stadion, mal wieder seit Oktober. Wollen wir hoffen, dass die Situation sich bis zum neuen Saisonbeginn weiter bessert und man so ab November oder so wieder richtig normal in den Ground kann. Ohne einen Negativtest oder Impfnachweis wird es vielleicht aber erst 2022/23 klappen. Hoffentlich früher.
Keep the faith. RaMü.
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